St. Valentin, Österreich, II/31 – Opus 419
Eine Vleugels-Orgel für Niederösterreich
St. Valentin Stadtpfarrkirche, Orgelneubau 2012 im Matthäus Mauracher Gehäuse von ca. 1870
Orgelwerke zu erstellen heißt auch Kunstwerke zu erschaffen. Wird man sich als Orgelbauer bewusst, dass man am größten Musikinstrument der Menschheitsgeschichte mitwirkt, so kann alles Tun und Handeln eine besondere Dimension erreichen. Nicht ohne Grund hat auch das II. vatikanische Konzil die besondere Bedeutung gerade der Orgelmusik erkannt und diesem Instrument eine ganz besondere Stellung in der Kath. Liturgie eingeräumt.
So ist es für uns Orgelbauwerkstätten immer ein besonderes Erlebnis, wenn sozusagen ein Kind unseres Hauses in die Welt zieht und sich in einem neuen Raum einleben und künstlerisch entfalten darf.
Neben Blindenmarkt und Allerheiligen bei Graz ist St. Valentin nun unser drittes Instrument in Österreich. Gut drei Jahre sind seit der ersten Kontaktaufnahme durch Sie im Jahr 2009 bis zur Fertigstellung in 2012 vergangen. Mit H. H. Pfarrer Zarl, Herrn Christoph Bitzinger und Herrn Peter Wiesbauer standen uns drei unermüdlich wirkende und immer zur Verfügung stehende Ansprechpartner beiseite.
Eigentlich könnte man jetzt die Zahlenmystik um drei weiter vertiefen. Aber mit dem Hinweis auf die drei Teilwerke der Orgel (Hauptwerk, Schwellwerk, Pedal) möchte ich diese Sphären doch verlassen und Ihnen die Realität Ihres neuen Musikinstrumentes näher bringen.
In Ihrem neuen Orgelwerk finden Sie Teile von (schon wieder) drei Orgelbauwerkstätten. Zum einen Gehäuseteile und Pfeifen aus der Zeit der Orgelerstellung durch Matthäus Mauracher ca. 1870. Zum anderen Pfeifen von Georg Windtner aus St. Florian von 1965. Und natürlich jetzt unsere neue Orgel, die nach folgendem Konzept entstand:
Die wunderschöne neugotische Prospektfassade war beim letzten Umbau dahingehend verändert worden, dass das Obergehäuse auf Stahlträgern lagernd weit über das Untergehäuse hervorstand. Aus ästhetischen und bautechnischen Gründen musste diese Situation wieder in ihre originale Form zurückgeführt werden. Im historischen vorderen Gehäusebereich wurden das I. Manual = Hauptwerk sowie das Kleinpedal und ein Wartungsgang untergebracht. Das neue Gehäuse des II. Manuals wurde in Form eines geschlossenen Schwellkastens eingerichtet, mit dem eine besondere stufenlose Lautstärkedynamik realisiert werden kann. Daneben ist hier das II. Manual = Schwellwerk mit einer besonderen Jalousiesteuerung ausgestattet, die es dem Organisten zunächst gestattet, den Klang mit der Frontjalousie zentral in den Raum zu leiten. Mittels eines zweiten Fußpedals kann jedoch auch an der rechten Seitenwand eine Jalousie geöffnet werden, um so die Chorbegleitung optimal ausführen zu können. Wenn man nur mit der seitlichen Jalousie arbeitet, kann auch ein kleiner Fernwerkeffekt erzeugt werden. Benutzt man die beiden Schwellpedale (und damit Schwelljalousien) gleichzeitig, so erhöht dies die Lautstärkedynamik zusätzlich. An der Kirchenrückwand sind die drei Register des Großpedals untergebracht. Wegen des notwendigen Zugangs zum Turm war hierfür eine besondere Lösung u. a. mit geteilten Windladen gefragt.
Unsere Konstruktion ist so ausgelegt, dass jede einzelne der 1680 Pfeifen den von ihr benötigten Platz und Freiraum erhält. Gleichzeitig sollten und müssen alle Pfeifen und technischen Teile der Orgel für Wartungs- und Stimmarbeiten gut und bequem erreichbar sein. Diesen Zielvorstellungen stand mitunter entgegen, zwischen Emporenbrüstung und Orgelfront einen ausreichend großen Durchgang zu erhalten. In gemeinsamer Abstimmung mit Ihnen wurde hier das aus unserer Sicht bestmögliche Ergebnis erzielt.
Zum Klang der Orgel:
Geprägt vom neugotischen Prospekt und den übernommen Pfeifenreihen war eine gewisse romantische Klangausrichtung vorgegeben. Natürlich sollte fast jede Orgel so ausgelegt sein, dass barocke Klänge z. B. des bedeutendsten Orgelkomponisten Johann Sebastian Bach interpretiert werden können. Darüber hinaus eignet sich Ihre Orgel in St. Valentin aber in ganz besonderem Maße auch für die Aufführung symphonisch geprägter Musik. Bei der Neukonzeptionierung eines solchen Orgelwerkes kommt den Intonateuren unseres Hauses natürlich auch der Erfahrungsschatz von zahlreichen Restaurierungen romantisch geprägter Instrumente zu Gute. Das Grundgerüst der Orgel besteht aus 25 Registern = Pfeifenreihen = Klangfarben. Aus den beiden gemischten Stimmen der Manualwerke (Mixtur und Harmonia aetherea) hat man nochmals einzelne Pfeifenreihen spielbar gemacht. Darüber hinaus bietet die Zwillingsladentechnik die Möglichkeit, aus dem Hauptwerk vier Register über so genannte Doppelschleifen auch im Pedal nutzbar zu machen. Somit ergeben sich für die Organisten zukünftig 31 Spiel- und Einschaltmöglichkeiten.
Neben den drei normalen Koppelmechanismen, die es ermöglichen, die drei Teilwerke der Orgel mechanisch miteinander zu verbinden und gemeinsam spielbar zu machen, haben wir hier fünf weitere Oktavkoppeln eingerichtet. Diese sind dann im besonderen Maße für einen Einsatz bei romantischer und moderner Musik geeignet. Daneben ist Ihre Orgel noch mit einer Vielzahl außergewöhnlicher Ideen bestückt, die teilweise musikalische Tradition besitzen, andererseits aber auch das Produkt tage- (oder nächte-)langer Diskussion mit Ihren Organisten sind. Neben Cymbelsternglocken und Nachtigall widmet sich ein Ihrem Pfarrer gewidmeter Registerzug der Eisenbahn in St. Valentin. Ein ½’-Register unterstützt die Organisten bei ihrer Übetätigkeit. Dazu beitragen möchte neben dem normalen Notenfach auch ein weiteres Fach (in dem nicht nur Noten untergebracht werden müssen!) Einzelne Notenblätter können magnetisch am Holz befestigt werden, während der kalten Wintermonate lassen sich die Manualtasten beheizen und auch das Orgelgebläse startet ganz modern „keyless“. Jetzt müsste die Orgel nur noch alleine spielen können und da war doch noch der Wunsch nach einer zeitgenössischen Farbgebung!!!
Natürlich muss die Orgel wie bisher von Menschen bedient werden und es bedarf einer lebendigen Gemeinde zum Zuhören. Wir haben unser Bestes getan, damit Sie in den kommenden Jahren immer wieder neue Klangmöglichkeiten erleben können. Wollte man bei Ihrer Orgel alle rein rechnerisch möglichen Klangmischungen ausprobieren, so landet man bei einer unvorstellbaren Anzahl im Milliardenbereich! Natürlich ist hierbei nicht alles musikalisch sinnvoll.
Nach über 3 Jahren einer fruchtbaren Zusammenarbeit inkl. Ihres Chorausfluges in den Odenwald, ist es uns ein großes Bedürfnis der Kath. Pfarrgemeinde St. Valentin für den Entschluss und die Bereitwilligkeit zu danken, ein schönes Orgelwerk für Ihr Gotteshaus durch uns errichten zu lassen. Mein persönlicher Dank gilt allen, die diese große und ehrenvolle Aufgabe in besonderem Maße mitgetragen haben, neben den drei schon oben genannten Personen aus St. Valentin auch dem Orgelsachverständigen Herrn Magister Franz Reithner aus St. Pölten. In diesen Dank einschließen möchte ich selbstverständlich alle, die uns auf diesem Wege unterstützt und mit uns zusammengearbeitet haben.
Ein besonderer Dank gilt dabei wie immer auch meinen Mitarbeitern, die für die Orgelerstellung in St. Valentin einen außerordentlichen Einsatz gezeigt haben. So dürfen wir aus unserem Hause das Instrument übergeben mit dem Wunsch der Erbauer, welche auch in eine Taste eingraviert ist: S.D.G. (Soli Deo Gloria) – Gott allein zur Ehre.
Hans-Georg Vleugels zur Orgelweihe im September 2012
DISPOSITION
I. Manual – Hauptwerk C-a‘‘‘
1. Bourdon 16’
2. Principal 8’
3. Soloflöte 8‘
4. Viola da Gamba 8‘
5. Octave 4‘
6. Rohrflöte 4‘
7. Superoctave 2‘
8. Larigot 1 1/3‘
9. Mixtur 4f. 1 1/3‘
10. Trompete 8‘
II. Manual – Schwellwerk C-a’’’
11. Geigenprincipal 8‘
12. Gedackt 8‘
13. Salicional 8‘
14. Vox coelestis 8‘
15. Fugara 4‘
16. Traversflöte 4‘
17. Nasard 2 2/3‘
18. Valentina 2‘
19. Violine 2‘
20. Terzflöte 1 3/5‘
21. Harm. Aetherea 4f. 2 2/3’
22. Horn 8’
23. Oboe 8’
Tremulant
Pedal C-f’
24. Violonbass 16’
25. Subbass 16’
26. Octavbass 8’
27. Flötbass 8’
28. Violoncell 8’
29. Tenoroctave 4’
30. Posaune 16’
31. Trompetbass 8’
3 Normalkoppeln mechanisch
5 Oktavkoppeln elektrisch: Sub und Super für II und II/I
16’ Schaltung bei Sub für die 8’ Register im II. M. = Sub 16’ aktiv (für Reg. Nrn. 11-13, 22 und 23)
Zusatzregister: Cymbelstern im SW, Nachtigall, Taurus/Zarl (Lokomotivpfiff), Plumbum ½’ (Bleistift)
2 Schwelltritte, 1 Crescendotritt (an/aus), Zungen ab, Tutti, Setzer 4000f. mit mehreren Sequenzern
Tastenheizung für die Manuale, Notenfach, farbiges Hintergrundlicht, keyless on