Loffenau, Heilig-Kreuz-Kirche, II/23 – Opus 371

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Eine der wenigen noch erhaltenen Orgeln von E. F. Walcker

Loffenau Heilig-Kreuz-Kirche, Orgel von Eberhard Friedrich Walcker 1856, Restaurierung 2004

Der Erbauer dieses Instrumentes ist zweifelsohne eine der bedeutendsten Lichtgestalten der Orgelbaugeschichte gewesen. Wie kaum ein zweiter Meister hat er im 19. Jahrhundert Meilensteine gesetzt und Entwicklungen voran getrieben. Bei der Restaurierung / Rekonstruktion 2004 wurden die 1966 entfernten originalen Pedalladen rekonstruiert ebenso der verschollene Spieltisch. Die Windversorgung wurde wieder durch 4 Kastenbälge rekonstruiert, wobei auf die Einrichtung eines üblichen Schleudergebläses verzichtet wurde. Der Orgelwind kann wieder wie original mechanisch getreten werden oder vier Elektromotoren übernehmen auf elektrischen Wege die Arbeit des Kalkanten.

Aus dem Bericht in Ars Organi von Markus Zimmermann:

… Die Loffenauer Orgel wieder möglichst nahe an den Zustand der Erbauungszeit heranzuführen, stellte die Mitarbeiter in der Restaurierungsabteilung von Orgelbau Vleugels vor große Herausforderungen. Um Platz vor der Orgel zu gewinnen, war 1966 die rückwärtige Kastenbalganlage eliminiert und das Instrument nach hinten versetzt worden. Obwohl die Besetzung und Anordnung der Pedalladen damals beibehalten wurde, tauschte man die originalen Kegelladen gegen Schleifladen aus; die Manualladen verblieben merkwürdigerweise. Anhand der Kopie einer Originalzeichnung, der Spuren in Gehäuse und Lagerwerk, der Schatten, die das Pfeifenwerk zwischen 1856 und 1966 gebildet hatte, und schließlich durch Auslegen vorhandener Originalpfeifen konnte die ursprüngliche Registerverteilung ermittelt werden. Die Pedalladen wurden analog zu den Manualladen angefertigt. Die Anordnung aller Windladen entspricht nun wieder dem Zustand von 1856: Links hinter dem Prospekt das II. Manual, rechts das I. Manual. Violonbaß, Subbaß und Octavbaß stehen hinter dem I. Manual, während Violoncell und Posaunenbaß vor der Tretvorrichtung der Blasebälge, also vom Kirchenschiff aus betrachtet links, platziert sind. Somit ist der Zugang gleichzeitig als Stimmgang nutzbar; zudem wird eine optimale Verteilung der am meisten Wind verbrauchenden Pedalregister erreicht.

Kriminalistisch wurde auch vorgegangen, um den zwischenzeitlich entfernten Spieltisch und fehlende Mechanikteile zu rekonstruieren. Zusätzlich wurden sämtliche zugänglichen Walcker-Spieltische der Zeit vermessen – wohl die bislang umfassendste Untersuchung hierzu. Vor allem die Anlagen in Hoffenheim, Neuhausen, Waldkirch, Göppingen, St. Maria (vormals Köngen, evangelische Kir­ che) und Oppenheim, Katharinenkirche (hier glaubte man, noch biometrische Fingerabdrücke Albert Schweitzers sicherstellen zu können) wurden als Referenzen herangezogen. Lediglich die Höhenmaße wurden zugunsten heutiger Körpergrößen geringfügig modifiziert. Boten die Vergleichsobjekte mehrere Lösungsmöglichkeiten für ein technisches Detail, wurde der zeitnächste Beleg zu Loffenau als Grundlage gewählt. Nun steht der ,geklonte‘ Walcker­Spieltisch, samt der charakteristischen beiden Collectiv-Tritte, wieder zentral mit Blickrichtung ,zum Herrn‘ vor der Orgel. Das etwas zähe Spielgefühl der Kegelladen, die Sitzposition und sogar die systembedingte Geräuschentwicklung kommen Walcker-Originalen verblüffend nahe (der Verfasser hat sieben Jahre lang am Waldkircher Instrument geübt). Kopiert wurden selbstverständlich auch die Registerschilder in Weiß (I. Manual), Rosa (II. Manual) und Grün (Pedal) mit Goldrand und den ausschwingenden schwarzen Schriftzügen.

Des Weiteren war die passende Windanlage wiederherzustellen. Vier Kastenbälge, die nebeneinander an der Kirchenrückwand angeordnet sind, wurden nach dem in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Vorbild Bad Herrenalb (1869) neu gefertigt. Sie können von einem Kalkanten oder mittels Elektromotoren betätigt werden; letztere werden mittels Elektronik und Lichtschranken gesteuert. Elektronikingenieur Erik Schwarz aus Lohr am Main engagierte sich sehr für dieses Detail und demonstrierte seine Funktion eindrucksvoll am Tag der Einweihung mit einer Computeranimation. Auf ein Schleudergebläse wurde verzichtet. Das Ergebnis ist ein sehr stabiler, keineswegs drückender Wind; unerwünschte Nebeneffekte konnten nicht festgestellt werden. Die Geräuschentwicklung hält sich in nicht nur aus nostalgischer Sicht gut vertretbaren Grenzen; die zum Bälgetreten auserwählten Schuljungen im 19. Jahrhundert haben wohl mehr Lärm verursacht. Bleibt zu hoffen, dass die Anlage sich auch über Jahrzehnte hinweg bewährt. Der Einbau einer solchen Balganlage bedingte, dass die Prospektfront wieder nach vorne gerückt werden musste; dennoch blieb zwischen Emporenbrüstung und Spieltisch ein Durchgang.

Mühevolle Forschungen, langwierige Entscheidungsprozesse sowie sorgsame Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten waren auch nötig, um den originalen Pfeifenbestand zu ermitteln. 1966 wurden nur Viola di Gamba und Floete im I. Manual ausgetauscht; die Mixtur wurde auf 1′-Basis umgestellt. Für die Rekonstruktion des teilweise klingenden Prospekts führte das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg eine Metallanalyse an zwei erhaltenen Prinzipal-Innenpeifen durch. Sie ergab 98 % Zinngehalt – Sparsamkeit kann man den schwäbischen Erbauern also nicht vorwerfen.

Die Rückführung der Walcker-Orgel von Loffenau forderte zeitintensive Recherchen und rief teilweise kontroverse Diskussionen hervor. Aber nur so war es möglich, diesem Stück Orgelbau- und Musikgeschichte aus dem 19. Jahrhundert und dem bedeutenden Oeuvre Eberhard Friedrich Walckers wieder um einige Schritte näher zu kommen. Welches Klangbild verfolgte man 1856, und was davon können wir heute bewahren bzw. wiedergewinnen? Schon etwas weniger als beim Instrument in Hoffenheim bestimmten Orgeln, die von der polyphonen Satzweise her konzipiert waren, den Erfahrungshorizont. Gefragt waren nach wie vor mehrfache Plena mit ausreichendem Fundament, dazu Farbregister – Streicher und Flöten bis in die ppp-Stufe. Die Orgelliteratur war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bereits deutlich homophoner ausgerichtet als zuvor, so dass etwa solistische Qualitäten im Tenorbereich kaum noch gebraucht wurden. Auch rasche Triosätze, in Hoffenhein noch darstellbar, waren nun außer Mode, was Spaltklangregistrierungen und schnell ansprechende Solostimmen entbehrlich machte. Gebraucht wurden ab ca. 1850 eher kräftig zeichnende Stimmen wie Prinzipale und Gamben mit teilweise extremem Strich. Flöten – das zeigt das Loffenauer Instrument exemplarisch – haben nach wie vor starke Eigencharakteristik und deutlich ausgebildete Partialtöne, neigen aber gleichwohl zu fülligem Klang. Zungenregister dienen nicht als Solisten, sondern als Formanten des Plenums, das grundsätzlich auf 16′-Basis aufzubauen ist. Einen letzten Rest älterer Registrierpraxis deutet das Cornett des II. Manuals an, das sich selbst gegen die Grundstimmen des Manuals durchsetzt, aber eine 16′-Basis in der Begleitung verlangt. Es ist jedoch bereits stärker der Mixtur angeglichen und verläuft über die gesamte Klaviatur bei zunehmender Chorzahl. Ebenfalls auf dynamisch relativ hohem Niveau befinden sich die, konventionellen Streicherstimmen Salicional, Fugara, Violonbaß und Violoncell. Da auch an den Referenzinstrumenten die Intonation mehrfach verändert worden ist, ist schwer auszumachen, in welchen Lautstärkegrad und in welches Obertonspektrum das damals moderne Streicherregister Harmonica einzuordnen sei; es repräsentiert als einzige Stimme den ppp-Bereich.

Die Loffenauer Orgel bietet wohl eine dynamisch große Bandbreite, allerdings noch in einzelnen Stufen,·nicht alle Klangfarben sind kombinierbar. Noch wenig ausgebaut ist die pp-Stufe. Das bereit wenige Jahre später – etwa in Waldkirch – intendierte weiche Crescendo ist hier noch nicht möglich. Sehr wohl aber gelingt – und darin dürfte eine der Qualitäten dieses Instruments liegen – ein Oberton-Crescendo: Fügt man den leisen Stimmen allmählich und systematisch die obertonreichen Streicher Gamba und Fugara hinzu und dann erst Prinzipale, Flöten, Quinte, Oktave und schließlich Mixtur bzw. Cornett bei, so erstrahlt förmlich ein Klang, der sich in einem Teiltonspektrum immer mehr aufspreizt. Es ist ein ideales Plenum zur Begleitung einer großen Gemeinde oder zur Ausführung vollgriffiger frühromantischer Präludien. Doch auch Variationssätze von Christian Heinrich Rinck, Justin Heinrich Knecht oder Felix Mendelssohn Bartholdy lassen sich mit den plastischen Flöten abwechslungsreich und apart realisieren. Bei kurzen Schalllaufzeiten transportiert die milde Akustik bei nicht besetzter Kirche alle dynamischen Stufen und Registrierungen angenehm; die beste Klangbündelung entsteht im Chorraum. Eine gewisse Herbheit ist nicht zu vermeiden – sie scheint so zum Lebensgefühl jener Zeit zu gehören wie mancher stolze Kirchenbau der frühen Gründerzeit. Dass dies keineswegs ins Pompöse verfallen muss, zeigt das Loffenauer Ensemble mit seiner transparenten Orgelfront und dem durchaus noch brillanten Orgelklang.

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DISPOSITION

I. Manual C-f‘‘‘

  1. Bourdon 16’
  2. Principal 8’
  3. Viola di Gamba 8‘
  4. Floete 8‘
  5. Gedekt 8‘
  6. Octav 4‘
  7. Rohrflöte 4‘
  8. Superoctav 2‘
  9. Quint 2 2/3‘
10. Mixtur 4f. 2 2/3‘

II. Manual C-f‘‘‘

11. Principal 8‘
12. Salicional 8‘
13. Harmonica 8‘
14. Liebl. Gedekt 8‘
15. Fugara 4‘
16. Traversflöte 4‘
17. Flautino 2‘
18. Cornet 1-4f. 2 2/3‘

Pedal C-d’

19. Subbaß 16’
20. Violonbaß 16’
21. Octavbaß 8’
22. Violoncell 8’
23. Posaunenbaß 16’

Koppeln: II/I, I/P
Calkant
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