Leipzig, Propsteikirche, III/46 – Opus 430

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Mit Chor, Orchester oder Solo brilliant ...

Leipzig Propsteikirche, Orgelneubau 2015

Aus der Festschrift zur Orgelweihe:

Als Orgelbauer erstellen wir das größte Musikinstrument der Menschheitsgeschichte. In einem Kirchenneubau stellt die Orgel in der Regel den größten Einrichtungsgegenstand des sakralen Raumes dar. Neben der Klangästhetik, die meist im Vordergrund steht, spielen die optische Ästhetik für unser Haus eine genauso wichtige Rolle. Deshalb war zunächst am einfachsten die Technik des Instrumentes zu klären

Zur technischen Ästethik:
Alle vier Teilwerke der Orgel werden mit mechanischen Tontrakturen angesteuert. Allerdings gibt es auch elektrische Zusatzladen, die dann Doppelfunktionen (Transmissionen) ermöglichen. Die freistehende Spieltischstellung mit Blick auf die Musizierempore war eine örtliche Vorgabe, die wir gerne übernommen haben. Die Registertraktur wurde nicht nur deshalb rein elektrisch ausgeführt. Ein Speichermedium bietet die Möglichkeit, bis zu 40.000 Registermischungen zu programmieren und abrufen zu können. Die Koppeln wurden teilweise mechanisch, teilweise elektrisch ausgeführt.

Im Gegensatz zu unserer kurz zuvor fertig gestellten Orgelanlage in der Bayreuther Stadtkirche, bei der beide Spieltische mit Touchpads und allen nur erdenklichen elektronischen Zusatzfunktionen ausgestattet wurden, hat man sich in Leipzig bewusst etwas zurückhaltender gezeigt. Es sollte nicht jede Traktur mit additiven Magneten versehen werden. Allerdings besitzen alle Klaviaturen elektronische Kontakte und über die Anschlüsse von USB schreiben/lesen wäre z.B. eine Bearbeitung am eigenen Computer möglich.

Zur klanglichen Ästhetik:
Einige Jahre zuvor hatten wir in der Chemnitzer Schloßkirche ein Orgelwerk mit einer sehr starken Orientierung an der französischen Romantik erstellen dürfen. Obwohl es auch Stimmen gab, dies in Leipzig zu wiederholen, haben wir uns hier schließlich für eine zeitgenössische oder moderne Ausrichtung in das 21. Jahrhundert hinein entschieden. Mit einer eher universell orientierten Disposition sollten möglichst viele Klangrichtungen und Stile darstellbar sein (hier in einer Klangvariante „Mono von links“).

Auch wenn das Wort Universalorgel durchaus kritisch gesehen werden kann, stellte sich uns immer wieder die Frage, was erwartet ein Besucher denn in einem solch modernen Kirchenraum? Möchte man hier auf eine Barockorgel norddeutscher, mitteldeutscher oder süddeutscher Prägung treffen? Soll die Stilistik noch weiter zurückreichen? Möchte man eine deutsch, englisch oder französisch orientierte romantische Orgel haben? Oder würde man Experimentier- oder Neodispositionen des 20. Jahrhunderts erwarten?

Auch wenn wir uns natürlich bewusst sind, dass man mit einer Orgelgröße von 46 Stimmen keinesfalls alle Stile perfekt abdecken kann, so war es doch unser (gemeinsames) Ziel, eine möglichst große musikalische Bandbreite bieten zu können.

Wem das Prädikat universell zu negativ klingt, der möge gerne dafür vielseitig benutzen. Dies waren unsere Zielvorstellungen im Bereich Mensurierung, Disponierung und Intonation.

Zur optischen Ästhetik und architektonischen Einbindung:
Wie findet sich die optimale Lösung für einen neuen Orgelprospekt? Der seitliche Standort auf der frei auskragenden Empore war vorgegeben. Zunächst galt es nur, eine Wandöffnung dieses Raumes mit einer Prospektgestaltung zu füllen. Im Verlauf der umfangreichen Beratungen kamen wir dann zusammen mit der Kirchengemeinde und dem Architekturbüro Schulz & Schulz auf ein Konzept, welches den Orgelprospekt in der Art eines überdimensionierten Bilderrahmens nach vorne herauszieht und in eine Schräge zum Kirchenraum hinein schwenkt. Gleichzeitig wurde die umgebende Wandfläche nach hinten zurückversetzt (parallel zur Außenwand), was die innere Planung nicht unbedingt einfacher machte! Mehrere Tonnen des auskragenden Orgelteils schweben nun an einer von außen versteckt angeordneten Stahlkonstruktion – auch dies das kreative Ergebnis durchaus schlafloser Nächte!

Nachdem sich das Konzept des Bilderrahmens verfestigte, waren weitere Fragen zu lösen. Wie soll die Oberfläche beschaffen sein? Wer uns kennt, weiß, dass wir gerne mit Künstlern und mit Farbe gearbeitet hätten. Nachdem man sich auf sichtbares Eichenholz verständigt hatte, wurde diskutiert, ob nur der „Bilderrahmen“ an der Wand hängen sollte oder ob man die Fortsetzung des Untergehäuses in Eiche andeutet – so wie jetzt geschehen auch bis hin zum Spieltischgehäuse.

Doch die wichtigste Klärung bestand in der Frage nach dem Ablauf der Prospektpfeifen. Nachdem die Kirchengemeinde gerade von unserem Haus eine ausgefallene Lösung erwartete, hatten wir diese in Form einer Art optischen Linse, eines magischen Auges, einer Gestaltung mit stehenden, hängenden und liegenden Pfeifen konzipiert. Wow, dachten alle in unserem Designbüro – solch eine Lösung hat die Welt noch nicht gesehen! Doch vielleicht war diese Idee etwas zu verrückt oder auch die damit verbundenen Risiken zu hoch. Es sollte doch eher eine moderne Lösung mit einem gewissen Raumbezug gefunden werden (ich für mich möchte unsere spektakuläre Darstellung gerne noch einmal irgendwo verwirklichen).

Die Gestaltungslösung kam uns dann in einem gewissen Bezug zum Trinitätsgedanken – 3 Prospektfelder in einem, von der Form her scheinbar gleich, alle jedoch unterschiedlich ausgeführt, fanden hier eine begeisterte Zustimmung. Weitere philosophische/theologische Gedanken hierüber bleiben Herrn Propst Giele vorbehalten. Auch bei dieser zunächst eher zurückhaltenden Pfeifenanordnung gibt es viele interessante Details zu entdecken – mit dem erzielten Raumeindruck sind wir voll und ganz zufrieden.

So freuen sich alle Orgelbauer aus Hardheim und der Unterzeichner persönlich ganz besonders auf die Einweihung dieser Orgel. So wie diese Kirche im Stadtzentrum von Leipzig neue Tore öffnet, haben sich für die Entwicklung unserer Orgelmanufactur gerade an diesem Instrument durch die Einbindung der nächsten Generation neue Wege aufgezeichnet. Allen, die uns und mich persönlich auf diesem Weg begleitet haben, möchten wir an dieser Stelle ganz herzlich danken. Namentlich nennen dürfen wir Herrn Propst Giele, Herrn Architekt Ansgar Schulz, Herrn Prof. Lennartz, Herrn Dr. Nusser, Herrn KMD Liebich und als Nachfolger von Herrn Gral Herrn Kantor Rommelspacher.

Seit Jahrzehnten gravieren wir in die höchste Taste unserer neuen Orgeln die Jahreszahl der Fertigstellung und 3 Buchstaben, die den Wunsch der Erbauer gerade in der Bachstadt Leipzig so wunderbar zum Ausdruck bringen: S.D.G. – Soli Deo Gloria – Gott allein zur Ehre.

 
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DISPOSITION

I. Manual – Hauptwerk C – a“‘ (80 mm WS)

  1. Praestant, 16′
  2. Principal 8′
  3. Flûte Harmonique 8′
  4. Bourdon 8′
  5. Gamba 8’
  6. Octave 4′
  7. Spitzflöte 4′
  8. Quinte 2 2/3′
  9. Superoctave 2′
10. Quinte 1 1/3’
11. Mixtur 4-5f. 1 1/3′
12. Cornet 5f. 8’
13. Trompete 8′
      Tremulant

II. Manual – Positiv (schwellbar) C – a’’’ (75 mm WS)

14. Diapason 8’
15. Rohrflöte 8’
16. Principal 4’
17. Flûte 4’
18. Nasard 2 2/3’
19. Waldflöte 2’
20. Terzflöte 1 3/5’
21. Larigot 1 1/3’
22. Sifflet 1’
23. Schalmey 8’

III. Manual – Schwellwerk C – a’’’ (85 mm WS)

24. Viole d’Amour 16’
25. Flûte 8’
26. Viole de Gambe 8’
27. Voix Celeste 8’
28. Fugara 4’
29. Flûte Octaviante 4’
30. Flageolet 2’
31. Plein Jeu 4f. 2’
32. Cor Anglais 16’
33. Trompette Harm. 8’
34. Hautbois 8’
35. Clairon Harm. 4’
36. Voix Humaine 8’

Pedal (dis° unter dis’) C – g’ (90 mm WS)

37. Kontrabass 16’
38. Subbass 16’
39. Praestant Tr. 16’
40. Zartbass Tr. 16’
41. Quintbass 10 2/3’
42. Octavbass 8’
43. Bourdon 8’
44. Choralbass 4’
45. Posaune 16’
46. Trompete 8’

Koppeln (als Registerwippen):
mechanisch: II/I, III/II, I/P, II/P, III/P,

elektrisch: III/I und Oktavkoppeln: III 16‘/I, III 4’/I, III 16’, III 4’, Super III/P

a= 440 Hz bei 15°C, gleichstufig temperiert
Automatische Schwellwerköffner
Crescendowalze (4-fach einstellbar)

Setzer 40.000- fach, mit mehreren Schlüsselebenen, Registerfessel, USB-Anschluss, mehrere Sequenzer für Hand-, Fuß- und Fernbedienung, Zungen ab, Tutti, Heuss ET-System.

Spielregister vorb.: Glockenspiel (auf I, II oder III möglich), Cymbelstern, Nachtigall (Leipziger Lerche)