Freiburg-Herdern, St. Urban, III/52 – Opus 418
Es ist nie zu Spät(h) ... eine besondere Orgel zu restaurieren
Freiburg Herdern St. Urban, Orgel von Späth 1936, Restaurierung 2012
2005 wurde die Kirche innen saniert und neu gestaltet. Trotz einer weiteren sorgfältigen Überholung durch Wolfram Stützle zeigten sich nun immer mehr Defekte und der müde dumpfe Klang vermocht selbst bescheidene Ansprüche kaum noch zu befriedigen. Nachteilig war auch der seitlich stehend Spieltisch, von dem aus die Manualwerke kaum bzw. nur unausgewogen zu hören waren. Da die Orgel 2007/08 von der Behörde als „erhaltenswertes Denkmal‘ eingestuft wurde entschied sich die Pfarrgemeinde für eine Restaurierung. Ihr ging eine detaillierte Bestandsaufnahme durch Orgelbau Klais (Dr. Hans-Wolfgang Theobald) voraus. Deren Ergebnis enthielt Vorschläge wie mit der Substanz zu verfahren werden könnte; vieles davon wurde später verwirklicht. Der Auftrag zur Sanierung der Orgel erhielt die Orgelmanufactur Vleugels in Hardheim im Odenwald. Sie hatte bereits 1994 die Späth-Orgel von 1925 in der Heilig-Geist-Kirche Schramberg mit klanglich wie technisch überaus gutem Erfolg restauriert und sich schon 1993 (Voit-Orgel der Stadthalle Heidelberg) auf den denkmalpflegerischen Umgang mit elektro-pneumatischer Traktur spezialisiert.
Ziel der jetzt durchgeführten Arbeiten war es, die Orgel technisch und in ihrer ursprünglichen Klangaussage in der Gestalt von 1936 zu erhalten; letztere solle allenfalls in ihrem spezifischen Charakter intensiviert und ausgeglichen werden. Um dies zu erreichen, musste zunächst die Konstruktion im Rahmen der Möglichen verbessert werden. Im Hauptwerk wurden die beiden Diskantladen von der West auf die Ostseite verlegt und eine Ergänzungslade für die neu eingerichtete Oktavkoppel angefügt. Die drei Windladen des II. Manuals standen beengt im Schwellkasten im Unterbau hinter Verkleidungen; die Diskantlade wurde um 90 Grad gedreht und höhergelegt. Vertikal auseinandergerückt wurden ferner die drei auf Sturz stehenden Windladen des III. Manuals in der Turmkammer. Umfangreiche Stabilisierung war an Tragwerk und Windladen nötig, letztere waren in einem äußerst desolaten Zustand. In weiten Teilen musste die Windführung erneuert werden, um die erhebliche Windstößigkeit zu mindern. Ein zusätzliches Gebläse und die Überholung des bestehenden sorgen nun für stabilen Wind.
Der Spieltisch wurde aufgearbeitet und technisch komplett saniert. In wochenlangen Lötarbeiten wurde die Elektrik neu verdrahtet, so dass sämtliche Funktionen nun wieder störungs- und gefahrenfrei sind. Auf eine Setzeranlage wurde verzichtet, denn die vorhandenen Spielhilfen bieten zusammen mit den drei Manualen genügend Komfort für das liturgische Spiel und die meisten konzertanten Anforderungen. Die bislang mechanische Schwellerbetätigung wurde elektrifiziert. Dadurch konnte der Spieltisch auf ein Rollpodest gestellt werden; in der Regel steht er jedoch nun zentral vor der Orgel mit Blickrichtung zum Prospekt.
Viel Zeit investierten Intonateur Christian Heiden und seine Helfer, um die nunmehr fast 4 000 Pfeifen in Form und Harmonie zu bringen. Das bedeutete zunächst, alle Schäden auszubessern, die an dem zeitbedingt dürftigen Ersatzmaterial durch in akrobatischer Haltung ausgeführte Wartungen entstanden waren: Reinigen, Ausrunden, Rastrieren, Korrekturen an Füßen, Mündungen und Labien etc. Bei den kurzbechrigen Zungenstimmen mussten fast alle Zungenblätter ersetzt oder zumindest neu aufgeworfen werden. Die Intonation selbst wurde an den kräftigsten und brillantesten Tönen ausgerichtet. Der Charakter der Orgel sollte unverändert bleiben. Doch sollte alles, was an Glanz und Farbenreichtum in ihr steckt und über die Jahrzehnte verschüttet war, geweckt werden.
Die Orgel der Herderner Urbanskirche ist optisch, technisch und musikalisch ein sehr aussagekräftiges Kind ihrer Zeit geblieben. Nach wie vor hat sie ein auffallend dunkles Timbre, dessen Kraft in den großen Zungenstimmen liegt. Die subtil differenzierte Grundtonpalette bietet zusammen mit den dezenten Einzelaliquoten, Mixturen und kurzbechrigen Zungenstimmen einen unerschöpflichen Fundus – besonders für die Interpretation impressionistischer Werke für die vorkonziliare Liturgie und dementsprechende Improvisationen. Darüber hinaus lassen sich hier exemplarisch die Klangvorstellungen erproben, wie sie die Wortführer der Orgelbewegung (Wilibald Gurlitt) seinerzeit pflegten.
Gegenüber anderen Orgeln der Zeit ist die Grundtonage nicht nur quantitativ stärker vertreten, sondern – als Folge der Entstehungsgeschichte des Instruments – weniger von der Ideologie der Orgelbewegung geprägt: Flöten dürfen hier durchaus voluminös klingen, das Geigenprincipal im II. Manual neigt in der tiefen Lage deutlich zum Waldhorn, das Quintatön hat bei minimalem Schalldruck einen zwar geringen, aber gut hörbaren Quintanteil, und die Streicherstimmen sind zeichnend und nicht schwächlich hauchend. Eine Eigenheit ist es, dass das Principal 8′ im Hauptwerk ungewöhnlich flötig, dennoch tragend ist; ein, echtes‘ Principal 8′ muss man sich mit ein paar Tricks zusammenstellen. Dafür hat das Hauptwerk mit der Oberoktavkoppel jene organische Brillanz und Kraft gewonnen, die zuvor fehlte. Das ,Entzerren‘ der Anordung der Windladen bewirkte nicht nur eine sichere Zugänglichkeit, sondern verbesserte auch den Klangaustritt, wenngleich keine dynamischen Wunder zu erwarten sind, weil z. B. die Sehwelljalousien erst in etwa 1,5 m Höhe der Turmkammer beginnen.
Fazit: Um den Reichtum dieser Orgel auszuschöpfen, muss man sich mehr als üblich mit ihr beschäftigen. Dann aber entfaltet sie ungewohnte Klänge, wie das Einweihungskonzert der vier nebenamtlichen, dennoch sehr professionell agierenden Organisten am 14. Oktober 2012 eindrucksvoll zeigte: Markus Edelbluth, Joachim Müller, Robert Klöckner und Berthold Braitsch.
In Freiburg und Umgebung wurden in den 1930er Jahren im Gefolge der ersten Praetorius-Orgel eine Reihe von Instrumenten neu gebaut, in denen die Gedanken der Freiburger Orgeltagung von 1926 mehr oder weniger verwirklicht worden sind. Eine Reihe dieser Werke ist erhalten und inzwischen saniert oder gar restauriert. Beispiele hierfür sind die Welte-Orgel im Augustiner-Museum 4 (restauriert 2009 durch den Waldkircher Orgelbau Jäger & Brommer) oder die von Ernst Kaller unter Mitwirkung von P. Winfred Ellerhorst geplante Mönch-Orgel in der Maria-Hilf-Kirche 5 (restauriert 2000 durch die Erbauerfirma); die letztere lohnt den Vergleich besonders, weil sie trotz ähnlicher Größe wie die Urbans-Orgel mit einem ganz anderen Dispositions- und Intonationskonzept aufwartet. Die restaurierte Späth-Orgel in Herdern ist somit ein überaus origineller Mosaikstein im Kontext der zur gleichen Zeit errichteten Instrumente Süd badens und ein authentisches Denkmal im Raum-Ensemble der Kirche St. Urban. Möge der gute Hirte, der nun den Orgelprospekt ziert, dieses einzige größere Ausstattungsstück aus der Erbauungszeit der Kirche ebenso vor Schaden bewahren wie die Gemeinde!
Markus Zimmermann in Ars Organi 2013
DISPOSITION
I. Manual – Hauptwerk C–g“‘
1. Nachthorngedeckt 16′
2. Principal 8′
3. Gedeckt 8′
4. Dolce 8′
5. Oktave 4′
6. Rohrflöte 4′
7. Mixtur 3-4fach 2′
8. Rauschpfeife 2 fach 2 2/3′
9. Schweizertrompete 8′
II. Manual – Schwellwerk C–g““
10. Bordun 16′
11. Geigenprincipal 8′
12. Offenflöte 8′
13. Portunalflöte 8′
14. Aeoline 8′
15. Principal 4′
16. Nachthorn 4′
17. Gemsquinte 2 2⁄3′
18. Waldflöte 2′
19. Terzcymbel 3fach
20. Rankett 16′
21. Krummhorn 8′
22. Kopfregal 4′
Tremulant
III. Manual Schwellwerk C–g““
23. Rohrgedeckt 8′
24. Quintatön 8′
25. Salicional 8′
26. Schwebung 8′
27. Ital. Principal 4′
28. Blockflöte 4′
29. Dolkan 2′
30. Terz 1 3⁄5′
31. Quint 1 1⁄3′
32. Septime 1 1⁄7′
33. Schwiegel 1′
34. Acuta 3fach 1′
35. Cornett 3-5f. 8′
36. Singend Regal 8′
37. Bombarde 16′
38. Trompete 8′
39. Clairon 4′
Tremulant
Pedal C–f‘
40. Principalbass 16′
41. Subbass 16′
42. Zartbass 16′
43. Quintbass 10 2⁄3′
44. Oktavbass 8′
45. Gedecktbass 8′
46. Choralbass 4′
47. Bassflöte 4′
48. Sopran 2′
49. Posaune 16′
50. Trompete 8′ (Ext.)
51. Clairon 4′ (Ext.)
52. Singend Cornett 2′ (Ext.)