Bayreuth, Ev.-Luth. Stadtkirche – Hauptorgel, IV/70 – Opus 426
Die erste Großorgel mit komplett mechanisch angespielten Schleifladen
Bayreuth Ev.-Luth. Stadtkirche, Hauptorgel von G. F. Steinmeyer & Co. 1961, Restaurierung und Erweiterung Vleugels 2014
Dreifaltigkeitsorgel
Aus dem Ars Organi Bericht von Prof. Thomas Rothert:
… erhielt die Stadtkirche im Jahr 1961 eine neue große Orgel der Firma Steinmeyer mit vier Manualen und 60 Registern. Das neue Instrument sollte auch als Unterrichts- und Prüfungsinstrument für die Bayreuther Kirchenmusikschule dienen.
Es wurde nach dem Werkprinzip und mit mechanischer Spieltraktur gebaut, und es ist hoch einzuschätzen, dass diese für den Großorgelbau in Süddeutschland damals noch neue Bauweise gewählt wurde. Die Disposition, die vom Sachverständigen Prof. Friedrich Högner unter Mitwirkungdes damaligen Stadtkantors Viktor Lukas erstellt wurde, führte glücklicherweise
nicht zu einer rein neobarocken Lösung. So stellte die Orgel mit Hauptwerk,
Rückpositiv, (schwellbarem) Brustwerk, großem Schwellwerk und großem selbständigen Pedal sowie mit Setzeranlage und Walze gute Realisierungsmöglichkeiten für Orgelwerke der Barockzeit, der Romantik und der Moderne bereit.
Schaut man in das Werkverzeichnis der Firma Steinmeyer, so
stellt man fest, dass dieses Instrument die erste Großorgel in diesem Werkaufbau und mit komplett mechanisch angespielten Schleifladen war, und es ist bewundernswert, wie gut dieses Werk damals auf Anhieb gelungen ist. In zahlreichen Einzelheiten findet man kluge orgelbauliche Entscheidungen, die die damaligen Möglichkeiten realistisch einschätzten: Durch die elektropneumatische Koppelanlage entfielen die möglichen Probleme von schwergängigen mechanischen Koppeln. Die Leichtgängigkeit der Traktur wurde zusätzlich verbessert durch pneumatisch angesteuerte Doppelventile in den ersten sechs Basstönen der Manuale von Hauptwerk und Schwellwerk und in allen Pedaltönen.Es wurden keine Windladenbälgen sondern Regulatorbälge (z. T. als hängende Keilbälge) verwendet, sodass der Wind noch lebendig blieb. Die Registersteuerung erfolgte über eine Kombination aus Elektrik und pneumatischen Apparaten. Schwächster Punkt blieb die Seilzugtraktur zum Rückpositiv, die später jedoch ausgetauscht wurde. Die verwendeten Materialien waren in allen Bereichen für die Zeit sehr gut.
Deutliche neobarocke Ansätze findet man sowohl in der Disposition als auch in den für die große Kirche relativ niedrig angesetzten Winddrücken (HW 65 mm). In der Mensurierung blieb Steinmeyer im Wesentlichen aber bei seinen
Erfahrungswerten von früheren Großorgeln. Prinzipale und Flöten waren ausreichend weit dimensioniert und gaben der Orgel eine gute Grundtonverankerung und Klangwärme. Die Zungenstimmen stammten aus der Werkstatt Giesecke. Zeittypisch ist die Besonderheit der Spanischen Trompeten 16‘ und 8‘ im Hauptwerk, die mit ihren Kupferbechern dem Instrument auch äußerlich eine besondere Note gaben. Die Orgel wurde in
den neunziger Jahren gereinigt und nachintoniert (leider mit teilweiser
Erhöhung der Winddrücke), jedoch in ihrer Disposition unverändert belassen.
…
Im Jahr 2007 musste die Kirche wegen akuter Gefährdung durch
Bauschäden am Gewölbe geschlossen werden. Es folgte eine umfassende und acht Jahre dauernde Sanierung des Gebäudes. Diese brachte auch für den kirchenmusikalischen Bereich wesentliche Verbesserungen: Die etwas erhöhte ebene Chorraumfläche wurde weiter in das Kirchenschiff hineingezogen und bietet dadurch jetzt mehr Raum für die vordere Aufstellung von Chor und Orchester. Obwohl beide Orgeln von einer Orgelbaufirma eingehaust und mit Folien abgedeckt worden waren, ergab sich durch die lange Zeit der Bauarbeiten eine weit überdurchschnittliche Verschmutzung beider Instrumente, die eine umfangreiche Reinigung und Aufarbeitung nötig machte. Für beide Instrumente stellte sich nach den langjährigen Spiel- und Unterrichts-erfahrungen aber auch die Frage nach wünschenswerten klanglichen oder technischen Ergänzungen bzw. Änderungen. Insbesondere war hier daran zu denken, dass die Bayreuther Stadtkirche ein zentraler Ort der Kirchenmusikpflege in Oberfranken ist und dass hier – auch im Zusammenwirken mit der inzwischen zur Hochschule gewordenen Fachakademie für Evangelische Kirchenmusik – besondere Möglichkeiten für die musikalische Gestaltung der Gottesdienste, für die Realisation von Orgelwerken (auch für Neue Musik) und für die Orgelimprovisation bereitgestellt werden sollten.
Für die große Orgel ergaben sich die folgenden dispositionellen Erweiterungswünsche:
Hauptwerk: Hinzufügung von Quinte 2 2/3‘, Kornett (wenigstens 2-3f.), Trompete 8‘ und Koppel III/I
Schwellwerk: Hinzufügung von Hautbois 8‘, Voix humaine 8‘, Aeoline 8‘, Vox coelestis 8‘ und Terz 1 3/5‘
Pedal: Mit Blick auf die 16‘-Prinzipalbasis im Hauptwerk und die heutigen erweiterten Literaturanforderungen entstand hier der Wunsch nach labialem und lingualem Ausbau der 32‘-Lage.
Die genannten Änderungen sollten so kostengünstig wie möglich erfolgen, d.h. im Austausch gegen andere wenig benutzte Register bzw. durch Teilung oder Verlängerung von bereits vorhandenen Registern. Lediglich für das Schwellwerk und die tiefe Oktav der 32‘-Register waren zusätzliche elektrische Laden geplant.
Da die Steinmeyer-Orgel älter als 50 Jahre war, schaltete sich in die Planung auch das Landesamt für Denkmalpflege ein. Es war hier sehr erfreulich, dass der Denkmalpfleger, Herr Dr. Nikolaus Könner, volles Verständnis für die Erweiterungswünsche zeigte. Andererseits wies er aber auch auf den Denkmalswert und die Risiken für den Erhalt des alten Instrumentes hin
und beschwor die Orgelbaukommission, der „alten Steinmeyerin“ nichts anzutun.
Von daher wurde das Konzept nochmals überarbeitet: Die Steinmeyer-Orgel
sollte in ihrem gesamten Registerbestandunverändert erhalten bleiben. Alle neuen Register sollten auf eigene neue elektrische Laden gestellt werden.
Glücklicherweise war im Gehäuse noch genügend Platz für diese Lösung. Sie brachte neben dem kaum merkbaren Nachteil der elektrischen Anspielung der neuen Register den Vorteil, dass die Windsituation in den alten Kanzellen des Hauptwerks nicht stärker belastet wurde und dass die Zugänglichkeit und Stimmbarkeit auch mit den Erweiterungen optimal blieb, im Zuge der Umbauten sogar noch verbessert wurde. Um Eingriffe in die alten Pedalladen auszuschließen, wurden die beiden 32‘-Register nicht mehr als verlängerungen von Subbass und Posaune vorgesehen, sondern als eigene komplett ausgebaute Register, die dann auch im Winddruck und in den Mensuren freier gestaltet werden konnten. Die 32‘-Lade fand Platz hinter
der Orgelrückwand und wurde aus Gründen der Windstabilität als elektrische
Kegellade gebaut.
Mit den Restaurierungs- und Erweiterungsarbeiten wurde die Orgelmanufactur Vleugels aus Hardheim/Odenwald betraut.
Die Arbeiten an der Steinmeyer-Orgel waren darauf ausgerichtet, den bewährten technischen Originalbestand beizubehalten und zu reparieren und das ursprüngliche Klangbild der Register wiederherzustellen. Durch die vorherige Restaurierung der ähnlich disponierten Steinmeyer-Orgel in Düren (IV/65, 1967) hatte die Orgelbaufirma hierfür spezielle Erfahrungen.
Soweit wie möglich wurden die Winddrücke wieder in die Nähe der ursprünglichen Werte gebracht. Ein besonderer Dank sei an dieser Stelle auch Herrn OBM Paul Steinmeyer ausgesprochen, der mit Auskünften und Dokumenten zur Baugeschichte und mit der Übersendung von nicht mehr erhältlichen Originalteilen die Restaurierung wirksam unterstützt
hat. Die Gestaltung der neuen Zusatzregister wurde weitestgehend nach originalen Bauweisen und Mensuren aus anderen Steinmeyer-Orgeln dieser Zeit vorgenommen und intonatorisch sorgfältig auf die alten Register abgestimmt.
Das Ergebnis zeigt, dass dieser von der Denkmalspflege favorisierte Weg der richtige war: Alle beteiligten Organisten sind gleichermaßen froh, die alte Orgel in ihrer Originalgestalt wiederbekommen zu haben und mit den Zusätzen doch auch bestimmte Literaturbereiche noch besser realisieren zu können.
Für beide Orgeln bestand der Wunsch nach gegenseitiger Anspielmöglichkeit. Nach vielen Überlegungen der Vergrößerung des vorhandenen zweimanualigen Chororgelspieltisches auf drei Manuale erschien schließlich doch der Neubau eines viermanualigen Generalspieltischs im Chorraum die beste und sauberste Lösung. Die Orgelbaufirma hat dann einen sehr schlanken Spieltisch (fahrbar, ohne eigenes Podest) eingebaut, der den Chorraum optisch nicht belastet und sich gut in das Chorgestühl einfügt. Durch mehrere Anschlüsse im Chorraum ergibt sich eine leichte Versetzungsmöglichkeit des Spieltisches. Die Registerschaltung erfolgt mit traditionellen Wippen. Für die Anspielung der Chororgel vom Spieltisch der Hauptorgel wurde dort eine Schublade mit Registertastern installiert. Die
Setzeranlage und die Funktionen der Schweller sind an beiden Spieltischen bedienbar, wobei mit einer speziellen Schaltung eine Prioritätenregelung
möglich ist.
Mit Blick auf die Realisierung von Werken Neuer Musik und
Möglichkeiten der Orgel-improvisation wurden für beide Orgeln noch weitere
Funktionen eingebaut, die entweder mit Direktschaltern oder über Touchscreens bedient werden können: Handschweller, Winddrosseln, Tastenfessel, Registerfessel, Schwelltrittzuordnungen und Piano-Pedal. Am unteren Spieltisch kommen dazu noch Akkordverschiebung, Transponator, freie Koppelwahl und frei einstellbare Pedalteilung in Bass und Diskant.
Das große und komplexe Projekt ist von der beauftragen Orgelbaufirma mit viel Initiative, stilistischer Erfahrung, handwerklichem Können und mit Sorgfalt und Geduld ausgeführt und zu einem sehr guten Abschluß gebracht worden:
1) Die Steinmeyer-Orgel von 1961 ist denkmalgerecht
wiederhergestellt worden.
2) Beide Orgeln wurden umfassend gereinigt und im Bereich
der Technik und der Elektrik für eine sichere Funktion überarbeitet.
3) Die zusätzlich eingebauten Register fügen sich in beiden Instrumenten optimal in den jeweiligen klanglichen Zusammenhang ein und erweitern die Verwendungsfähigkeit beider Orgeln erheblich.
4) Der neue (fahrbare) Generalspieltisch ermöglicht durch die Altarnähe eine ideale liturgische Mitwirkung des Organisten. Das Zusammenwirken mit im Chorraum aufgestelltem Chor und Orchester ist optimal möglich. Vom unteren Spieltisch lassen sich außerdem die am oberen mechanischen
Spieltisch gefundenen Registrierungen und Spielweisen in ihrer Raumwirkung
ausprobieren und abhören.
5) Die neuen zusätzlichen Spielhilfen öffnen beide Orgeln noch stärker für Werke der Neuen Musik und für Orgelimprovisation.
6) Im Zusammenwirken der beiden Orgeln tun sich neue Klangräume auf, sowohl im Spiel beider Orgeln von einem Spieltisch aus als auch im
Spiel beider Orgeln durch zwei Spieler.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass hier – so paradox es klingen mag – die ideologisch unvoreingenommene, den alten Bestand aber konsequent achtende Hinzufügung von Erweiterungen das alte Instrument am sichersten vor Änderungen geschützt hat und hoffentlich auch in Zukunft schützen wird.
KMD Prof. Thomas Rothert
Orgelsachverständiger der Evang.-Luth. Landeskirche von Bayern
DISPOSITION
I. Manual – Rückpositiv C-g‘‘‘
1. Grobgedackt 8’
2. Dulzflöte 8’
3. Praestant 4‘
4. Rohrflöte 4‘
5. Oktave 2‘
6. Hohlflöte 2‘
7. Sesquialtera 2f. 2 2/3‘ + 1 3/5‘ ab C
8. Scharff 4f. 1‘
9. Dulcian 16‘
10. Krummhorn 8‘
Tremulant
II. Manual – Hauptwerk C-g’’’
11. Prinzipal 16’
12. Oktave 8’
13. Rohrgedackt 8’
14. Spitzgambe 8’
15. Pommer 5 1/3’
16. Oktave 4’
17. Kleingedeckt 4’
18. Quint 2 2/3’ neu
19. Oktave 2’
20. Kornett 2-3f. 2 2/3’ neu, ab C, 2’ ab c°
21. Rauschflöte 4f. 2 2/3‘
22. Mixtur 4-6f. 1 1/3‘
23. Chamade 16‘ horizontal
24. Chamade 8’ horizontal
25. Trompete 8’ neu
III. Manual – Schwellwerk C-g’’’
26. Großgedackt 16’
27. Holzprinzipal 8’
28. Lieblich Gedeckt 8’
29. Salicional 8’
30. Aeoline 8’ neu, Zk/Sn vom Lager
31. Vox coelestis 8’ neu, Zk/Sn vom Lager, ab c° schwebend
32. Weitoktave 4‘
33. Flachflöte 4‘
34. Rohrnasat 2 2/3‘
35. Waldflöte 2‘
36. Terzflöte 1 3/5‘ neu
37. Flageolet 1‘
38. Echokornett 2-4f. 1 1/3‘
39. Plein jeu 6f. 2’
40. Fagott 16’
41. Trompete harmon. 8’
42. Hautbois 8‘ neu
43. Clairon 4‘
44. Voix humaine 8‘ neu
Tremulant
IV. Manual – Brustwerk (schwellbar) C-g’’’
45. Koppelflöte 8’
46. Nachthorn 4’
47. Prinzipal 2’
48. Terz 1 3/5’
49. Quint 1 1/3’
50. Oktave 1’
51. Scharff 4f. 2/3’
52. Trichterregal 8’
53. Kopftrompete 4’
Tremulant
Pedal C-f’
54. Untersatz 32’ neu
55. Prinzipal 16’
56. Subbaß 16’
57. Quintatön 16’
58. Quint 10 2/3’
59. Oktave 8’
60. Gedeckt 8’
61. Rohrflöte 4’
62. Bauernpfeife 2’
63. Rauschbaß 4f. 5 1/3’
64. Choralbaß 3f. 4’
65. Mixtur 5f. 2’
66. Bombarde 32’ neu (90 mm WS)
67. Posaune 16’
68. Sordun 16’
69. Trompete 8’
70. Clarine 4’
Koppeln: I/II, III/II, IV/I, IV/II, IV/III, I/P, II/P, III/P, IV/P
neu: III/I und II/I
Zimbelstern
Anschluss der Chororgel
Generalschweller auf linkem SW-Tritt, Handschweller und Schwellerkoppeln
Pianopedal, Tastenfessel, Registerfessel, Windregler, Midi in/out, USB, touch pad
Vorbereitet: Glockenspiel